25.08.2021 – Kategorie: Projekt- und Kostenmanagement
Planungsphase: App ermöglicht Überblick über ganz frühe Projektphasen
Für die Wettbewerbsfähigkeit international agierender Unternehmen ist es immer interessant, ihre global verteilten Produktionsstätten wirtschaftlich und kapitalschonend zu planen und zu bauen. Der Hamburger H&R Gruppe, Entwickler und Produzent chemisch-pharmazeutischer Spezialprodukte, ist das gelungen.
Planungsphase: Als Spezialist für die Entwicklung und Herstellung von chemisch-pharmazeutischen Spezialprodukten auf Rohölbasis fertigt die H&R Gruppe aus Hamburg mit mehr als 800 Mitarbeitern innovative, umweltfreundliche und hochwertige Produkte für über 100 Industrien weltweit. Dabei müssen sie sich ständig neuen Anforderungen stellen und neuen Marktgegebenheiten anpassen.
Planungsphase ist entscheidend für den Wettbewerb
Um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, gehören kontinuierlich die Planung und der Bau neuer Produktionsanlagen, deren Erweiterungen sowie die Adaption weltweit bestehender Anlagen dazu. Das Management sah darin den Anlass, nach Lösungen zu suchen, um redundante Planungen bei häufig wiederkehrenden Projekten wie Formulierungsanlagen, also Anlagen zur Herstellung von Weißölen und pharmazeutischen Spezialitäten aus mehreren Komponenten, zu minimieren.
Als Partner für dieses Projekt wählte man die Magdeburger Cosmo Consult TIC GmbH, ein Unternehmen der Cosmo Consult Gruppe, weltweiter Anbieter von IT-Lösungen und Dienstleistungen für die Digitalisierung von Unternehmen. TIC steht übrigens für Technical Innovation Center und unterstützt H&R bereits seit 2015 bei der Durchführung von Investitionsprojekten.
Gemeinsam erkannte man schnell, dass die modulare Planung ein geeignetes Mittel darstellte, die
Ziele zu erreichen. Als Ergebnis der intensiven Entwicklungsarbeit präsentierten die Magdeburger IT-Experten schließlich eine cloud-basierte Webapplikation als global einsetzbares digitales Arbeitsmittel. Die Software ermöglicht eine schnelle Bewertung von Projektideen zur Erweiterung und Neuplanung von Formulierungsanlagen mit allen zur Verfügung stehenden technischen und kaufmännischen Daten. Daraus entstand auch der Applikationsname „Modular Master Plant Setup“ oder kurz „MoMaPS“.
Eine App für viele Module
Die App soll in den frühen Projektphasen vor Beginn des Basic Engineering durch Kostenschätzung, Termin- und Layoutplanung Machbarkeitsstudien unterstützen sowie maßstabsgetreues Planen in existierenden Layouts sowie in Google Maps erlauben. So entstehen belastbare Entscheidungsgrundlagen und neue Ideen sowie bestehende Anlagen lassen sich verwalten und Knowledge Hiding wird verhindert.
Module stellen aktuell einen wesentlichen Bestandteil der vorherrschenden Diskussion im Anlagenbau dar. Sie ermöglichen, Engineering-Aufwände maßgeblich zu verringern und Einsparpotenziale durch die modulare Bauweise auf der Baustelle zu realisieren. Bisherige Ansätze sind jedoch nicht durchgängig und beginnen erst im Lauf der Ausführungsplanung.
Die Entwicklung der Modularisierung bezieht sich aber vor allem auf bauliche Standardmodule (Skids) mit definierten Schnittstellen. Die MoMaPS-Entwickler dachten diesen modularen Ansatz etwas weiter und stellen ihn ganz an den Anfang der Projektplanung. Eine konsistente modulare Projektdurchführung (Bild 1) beginnt also mit dem modularen Konzept. Sie bildet die Basis für die weitere Nutzung von Modulen innerhalb der Planungsphase. Auch angesichts der wachsenden Bedeutung von BIM, ist eine Anbindung an die modulbasierte Planung von Anlagen erforderlich.
Unterschiedliche Ansätze
Formulierungsanlagen weisen eine im Anlagenbau vergleichsweise geringe Varianz des Equipments auf. Es besteht also die Möglichkeit, durch standardisierte Module den Planungsaufwand beachtlich zu verringern.
Die Planung basiert hierbei auf zwei Ansätzen zur Skalierung: Numbering Up und Scaling Up. Während Numbering Up die gewünschte Skalierung durch eine einfache Erhöhung der Anzahl der Module erreicht, skaliert bei Scaling Up das gewünschte Modul durch die erforderlichen Parameter. Für eine Standardisierung der Anlagenteile bietet sich Numbering Up an, da so die Variantenvielfalt reduziert wird. Für die Skalierung ist anfänglich das Equipment als Modul zu spezifizieren. Ist diese Arbeit einmal gemacht, ist es möglich, mit MoMaPS Designentscheidungen zu beschleunigen und direkt technische Diskussionen anhand von bereits spezifizierten Modulen zu führen. In frühen Projektphasen war das so bisher nicht denkbar, da ohne die Zuhilfenahme von Modulen nicht genügend Details zur Verfügung standen.
Ein Großteil der Arbeit besteht aus der Analyse von bereits erfolgreich umgesetzten Projekten, aus denen man Module für die Vorplanung definiert und mit ihnen eine Modulbibliothek entwickelt. Das birgt den Vorteil, dass sich die technische Umsetzung und auch die Machbarkeit eines Projekts frühzeitig diskutieren lassen. Damit kann das Management ohne weitere Planungsaufwände sehr schnell
Entscheidungen für oder gegen ein Projekt sowie seinen Standort treffen.
Die Planungsphase auf dem Weg zur Digitalisierung
Wichtige Management Key Objectives aus MoMaPS sind: eine grobe Class-A-Kostenschätzung (+/- 50 Prozent), ein Grobterminplan des Gesamtprojekts sowie ein Layoutplan in Google Maps oder im gewohnten Anlagelageplan des jeweiligen Standorts (siehe Bild 2). Gleichzeitig wächst die Modulbibliothek mit jedem geplanten Projekt, wodurch eine georeferenzierte, global zugängliche
Wissensdatenbank entsteht.
Ein wichtiger Schritt für den Erfolg einer derartigen Software besteht in ihrer Akzeptanz durch die Mitarbeiter. Alle müssen sich darüber im Klaren sein, dass es sich um einen Schritt nach vorne auf dem Weg zur Digitalisierung unserer Arbeitswelt handelt. Der Wille, die neue digitale Arbeitswelt zu gestalten, ist daher für eine erfolgreiche Umsetzung immens wichtig und sollte im so genannten changing thinking, idealerweise sogar im „changing thinking before changing things“ bestehen.
Modellversuch in China
Das Modular Master Plant Setup der beiden Kooperationspartner H&R und Cosmo Consult TIC wurde bereits in einem Projekt in China erprobt. MoMaPS konnte dabei zeigen, dass es in der Lage ist, über die definierten Module aus der Modulbibliothek, die Equipment nach firmenspezifischem Standard enthält, im weltweiten Einsatz redundante Planungen weitgehend zu verhindern.
Ein besonderes Highlight besteht in der Möglichkeit, in bestehenden Anlagen oder sogar direkt in der Karten- oder Satellitendarstellung von Google Maps Planungen auf der grünen Wiese durchzuführen (siehe Bild 3). Damit wird auch eine Prüfung umliegender Flächen für eine eventuelle spätere Erweiterung möglich. Somit erlaubt MoMaPS eine wirtschaftliche Projektplanung für Formulierungsanlagen, die bei H&R künftig von der Firmenzentrale aus für alle Niederlassungen weltweit möglich ist.
Von Christian Rommel und Philipp Siebert.
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