19.05.2018 – Kategorie: Branchen, Werkstoffe
Leichtbau: Mini-Wohnhäuser auf Rädern
Durch konsequenten Einsatz von Leichtbau-Materialien wird gegenüber gängigen Modellen ein Drittel des Gewichts eingespart. Dabei fällt die Wohnfläche um bis zu 50 Prozent größer aus.
Durch konsequenten Einsatz von Leichtbau-Materialien wird gegenüber gängigen Modellen ein Drittel des Gewichts eingespart. Dabei fällt die Wohnfläche um bis zu 50 Prozent größer aus.
Tiny Houses (Kleinsthäuser auf Rädern) gibt es in den USA bereits seit Mitte der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts – findige Tüftler kombinierten die Mobilität des Autos mit der Behaglichkeit des eigenen Zuhauses. In Europa ist die Idee noch recht jung: Tiny Houses gelten als ideale Lösung, das eigene Zuhause mit einer Reduzierung auf das Wesentliche zu verbinden. Die auf Trailer aufgebauten Tiny Houses haben selten mehr als 20 Quadratmeter bewohnbare Fläche, verfügen aber dennoch über alles Wesentliche, was zum Wohnen benötigt wird: Wohnbereich mit Kochnische, Sanitärbereich mit Dusche und Toilette sowie Schlafloft. Das Start-up-Unternehmen TechTinyHouse aus Stuttgart-Plieningen schickt sich nun an, durch konsequenten Einsatz von Leichtbau-Materialien den wachsenden Nischenmarkt der Tiny Houses zu erobern.
Die Landesagentur für Leichtbau Baden-Württemberg präsentiert diese Innovation mit ihrem ThinKing im Mai 2018. Die Leichtbau BW GmbH gibt mit diesem Label monatlich innovativen Produkten oder Dienstleistungen im Leichtbau aus Baden-Württemberg eine Plattform.
Ein Tiny House ist ein mobiles Eigenheim, das auf einem Autoanhänger aufgebaut wird und auf ein Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen begrenzt ist. Genau hier liegt der Grundstein für die Idee des Start-ups TechTinyHouse: Je leichter die verwendeten Materialien, umso größer kann die Nutzfläche ausfallen – eine deutliche Steigerung des Komforts wird somit möglich. Bis zu 10,5 Meter Innenraumlänge und bis zu 30 Quadratmeter bewohnbarer Fläche werden die Tiny Houses made in Stuttgart aufweisen und sind damit größer als viele auf dem europäischen Markt bislang verfügbaren Modelle.
Dank Leichtbau größerer Wohnraum
Mittelfristig sollen zwei Tiny Houses pro Monat gefertigt werden, deren Kosten sich im Bereich zwischen 30’000 und 60’000 Euro bewegen. Nachdem jetzt der erste Prototyp fertiggestellt ist, beginnt die Vermarktung, beispielsweise auf Fachmessen. Brendan Thome, Geschäftsführer von TechTinyHouse: „Wir sehen Leichtbau als entscheidenden Wettbewerbsvorteil, da er eine deutlich größere Wohnfläche sowie das Angebot von Zusatzsystemen wie Photovoltaik und Wasseraufbereitung erlaubt. Damit wird ein Tiny House erst für breitere Kundensegmente als dauerhafter mobiler Wohnsitz attraktiv, und der Markt kann aus seinem derzeitigen Nischendasein heraustreten. Leichtbau per se wird nicht vom Kunden nachgefragt; nachgefragt wird aber der durch Leichtbau ermöglichte größere Wohnraum. Durch Leichtbau ergibt sich die Chance für unser Unternehmen, den Markt der Tiny Houses aufzurollen.“
Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Leichtbau BW GmbH, zeigt sich beeindruckt: „TechTinyHouse ist ein hoch interessantes Beispiel dafür, wie der konsequente Einsatz von Leichtbau-Materialien zu einer völlig neuartigen Gesamtlösung führen kann. Selbstverständlich sind Tiny Houses im Land der ‚Häuslebauer‘ heute ein Nischenmarkt. Dennoch gibt es ein wachsendes Marktpotenzial und das junge Unternehmen hat beste Chancen, mit den Stichworten Gewichtsreduzierung, Vergrößerung der Wohnfläche sowie geringerem Energiebedarf zu punkten.“
Verzicht auf Standardmaterialien
Alle bisherigen Lösungen in dem Marktsegment der Tiny Houses basieren auf Standardkomponenten und -materialien (handelsübliche Fahrzeuganhänger, Holzfassaden, Standardgläser, Siebdruckplatten). Neu an dem Produkt aus Stuttgart ist die konsequente Verwendung von Leichtbaumaterialien. So können bei gleichbleibendem Gesamtgewicht bis zu 50 Prozent größere Häuser produziert werden. Nach den jeweiligen Vorgaben, ermittelt durch Stabilitätsberechnungen und -simulationen des Fahrgestells, wird der Stahl für das Fahrgestell gelasert und zum Anhänger geschweißt. Gegenüber herkömmlichen Lösungen ergibt sich eine Einsparung von rund vierzig Prozent Stahl. In gleicher Weise liefert ein Abbundzentrum die Hölzer für das gewichtsoptimierte und nach Eurocode geprüfte Ständerwerk des Hauses. Für die Fassade werden unter anderem Lichtbauelemente mit 30 Prozent Transluzenz verwendet, welche ebenso gut dämmen wie eine Dreifachverglasung, jedoch nur ein Sechstel davon wiegen. Ebenfalls kommt Leichtbauglas in den Fenstern zum Einsatz. Die Bodenplatte ist als Kompositplatte so erstellt, dass mit punktuell hoher Materialdichte die notwendige Stabilität der Platte gewährleistet wird.
Übersteht auch orkanartige Stürme
Die Unterschiede zu den bereits auf dem Markt verfügbaren Produkten beginnen bereits beim Anhänger. Er bildet das Fundament jedes Tiny Houses. Oft wird ihm jedoch geringe Aufmerksamkeit gewidmet, da er dem Bewohner im Alltag nicht begegnet und dadurch als periphere Komponente erscheint. Die Folge ist, dass das schwächste Glied der Bausubstanz vieler Tiny Houses im Fundament liegt. Das Anhängermodell der Stuttgarter Tüftler wurde dagegen speziell für den Aufbau von Tiny Houses entwickelt und berücksichtigt die für Tiny Houses auftretende inverse Lastverteilung. Es schließt konstruktiv optimal an das Ständerwerk an, damit das Tiny House eine solide Einheit bildet. Die ordentliche Verbindung vom Anhänger zum Haus ist unbedingt notwendig, um Tiny Houses für alle Situationen im Straßenverkehr sicher zu machen. Im Stillstand werden beispielsweise auch orkanartige Stürme sicher überstanden.
Reifen mit minimalem Radius sind ideal für Tiny House-Anhänger, damit der Anhänger möglichst tief gelegen ist. Gleichzeitig berücksichtigt TechTinyHouse die Standards im Straßenbau, sodass trotz geringem Abstand zum Boden eine Fahrt ohne Aufsetzen möglich ist. Auch der verwendete Stahl für den Aufbau ist von großer Bedeutung: Gängigerweise wird im Anhängerbau ein Stahl mit dem Kürzel S235 verwendet. Die Stuttgarter verwenden dagegen einen höherwertigen Stahl mit dem Kürzel S355. Bei gleichem Gewicht zeichnet sich S355 durch eine höhere Streckgrenze aus und kann somit höhere Belastungen erfahren, ohne sich irreversibel zu verformen. Die Streckgrenze ihrerseits liegt um rund 50 Prozent höher und kann demnach Gewicht beim Aufbau einsparen.
Das Ständerwerk auf dem Chassis bietet wiederum allen anderen Bauelementen Anschluss, um letztlich den Rohbau zu formen. TechTinyHouse-Ständerwerke besitzen eine geprüfte Statik und entsprechen somit deutschem Baurecht. Der Mantel (Boden, Dach, Fassade) schließt an das Ständerwerk an und bietet sowohl Privatsphäre, als auch Schutz vor Witterung. Da der Mantel individuell planbar ist, können auch sehr spezifische Wünsche für das spätere Wohnen berücksichtigt werden.
Bild oben: Bis zu 30 Quadratmeter bewohnbare Fläche auf einer Innenraumlänge von bis zu 10,5 Meter sind bei den Tiny Houses made in Stuttgart möglich. Quelle: TechTinyHouse.
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