19.04.2023 – Kategorie: Bauprojekte
Integrale Planung: Enge Zusammenarbeit von Anfang an
Parallel zum stetig höheren Anspruch der Gebäudewirtschaft in Sachen Effizienz, Komfort und Vernetzung, wandelt sich auch der Planungsprozess deutlich. Gefragt ist eine integrale Vorgehensweise. Wie diese aussehen kann und warum dazu alle am Bau beteiligten Akteure frühzeitig eng zusammenarbeiten müssen, zeigt ein Blick in die Praxis.
Integrale Planung in der Praxis: Derzeit investiert Phoenix Contact an seinem Hauptsitz im lippischen Blomberg rund 30 Millionen Euro in ein neues Produktionsgebäude inklusive Logistikflächen und Kantine. Im als G60 bezeichneten Bauwerk bietet eine Nutzfläche von etwa 18.500 Quadratmetern Raum für 400 Arbeitsplätze. Das aktuell im Rohbau befindliche Gebäude soll mit seiner Einweihung im Jahr 2023 einen Meilenstein in Bezug auf Nachhaltigkeit setzen. Denn Gebäude sind heute weit mehr als das sprichwörtliche Dach über dem Kopf.
Alle an einem Tisch: Integrale Planung
Diese Aussage wird durch eine Vielzahl weiterer Funktionen belegt, die im Rahmen einer Sektorenkopplung über die bekannten Aufgaben wie Leben, Arbeiten, Produzieren und Lagern hinausgehen. Bei der Sektorenkopplung innerhalb einer All Electric Society sind zukünftig immer mehr Gebäude mit regenerativen Energieerzeugungsanlagen, Ladesäulen, Fertigungsmaschinen sowie elektrischen Speichersystemen verbunden. Ziel ist es, grüne elektrische Energie überall dort zur Verfügung zu stellen, wo sie gerade benötigt wird. Eine entsprechende Vernetzung unterschiedlicher Aufgaben und Sektoren lässt sich nur durch eine integrale Planung umsetzen.
Für Florian Brandstetter bildet die ganzheitliche Betrachtung von ökonomischen, ökologischen, gestalterischen und soziokulturellen Zielsetzungen den Kern der integralen Planung. Um diese realisieren zu können, verlässt der auf Industriegebäude spezialisierte Architekt aus Bad Pyrmont „die chronologisch geprägte konventionelle Planung“. Stattdessen spricht sich Brandstetter für einen Planungsprozess aus, „der von Beginn an möglichst sämtliche Baubeteiligten an einen Tisch bringt“. „Das unterscheidet die neue Herangehensweise ganz klar von der bisherigen Zusammenarbeit auf der Baustelle“, so der Architekt.
Nutzer aktiv einbeziehen
Ein Kompetenzgerangel hat er in seinem Tätigkeitsbereich bislang nicht feststellen können, wohl aber eine veränderte Rolle seines eigenen Berufsbilds. „Der Architekt hat weiterhin die Verpflichtung, ein Bauprojekt zu koordinieren. Gleichzeitig erhält er immer mehr Stellräder, an denen er drehen kann“, erläutert Brandstetter und ergänzt: „Wir müssen mehr wissen, damit wir als Architekt auf Augenhöhe der verschiedenen Fachdisziplinen mitdiskutieren können.“ Dabei geht es vor allem um die technische Gebäudeausstattung (TGA), die bei nachhaltig konzipierten Hochbauten – wie dem neuen Blomberger Produktionsgebäude – einen stetig größeren Stellenwert einnimmt. Für viele Architekten stellt dies ohne Frage eine neue interessante Herausforderung dar.
Enge Zusammenarbeit
Die frühzeitige Kooperation der Baubeteiligten verändert auch die Arbeit der TGA-Experten. „Wir warten nicht mehr, bis wir einen fertigen Grundriss vom Architekten bekommen“, erklärt Matthias Harland, Projektverantwortlicher bei der ELPLAN GmbH. Das Unternehmen aus Minden erhielt von Phoenix Contact den Auftrag für die TGA-Konzeption des neuen Gebäudes G60. Die geänderte Herangehensweise ermöglicht zudem eine modulare Planung, was Zeit und Geld einspart. Als Beispiel nennt Harland die von der Gebäudearchitektur entkoppelte Planung des Energieerzeugungssystems. „Wir konnten zeitig mit der Bewertung starten, welche Technik hier für G60 am besten geeignet ist.“ Zuerst dachten die TGA-Experten von ELPLAN Ingenieure über Geothermie nach, entschieden sich jedoch für eine Kombination aus Wärmepumpe und Eisspeicher.
„Wenn ich ein energieeffizientes, intelligentes Gebäude errichten will, funktioniert das lediglich mit einer integralen Planung“, betont auch Matthias Unruhe. „Daher muss das Zusammenspiel zwischen Architektur und Technik einfach passen.“
Die am Projekt Beteiligten treffen sich regelmäßig, um die Planungsstände zu besprechen und sich auszutauschen. Je nach Baufortschritt werden die Zeitintervalle kürzer: in der Konzeptionsphase einmal pro Monat, während der Entwurfsphase alle zwei Wochen und im Zuge der Umsetzung wöchentlich. In den Meetings erörtern und verteilen die Teilnehmenden die Aufgabenpakete, die in der folgenden Zusammenkunft vorgestellt und diskutiert werden. Der Engineering-Spezialist im Blomberger Facility Management berichtet ferner, dass Phoenix Contact bei der Integration über die Technik hinaus noch einen Schritt weiter gegangen ist: Das Unternehmen hat die späteren Nutzer aktiv in die Planung einbezogen. „Wir haben die Wünsche der Mitarbeitenden abgefragt, und es kamen wirklich gute Ideen zu Tage, die jetzt realisiert werden. Dazu gehört die Information, welche Besprechungsräume frei sind oder wieviel Fahrräder für die Servicemonteure bereitstehen. Das war ein sehr interessanter Prozess“, stellt Unruhe fest. Unter dem Motto „New Work“ hat Phoenix Contact zum ersten Mal eine solche Befragung durchgeführt.
Digitalisierung greifbar machen
Die Bündelung unterschiedlicher Einzeldisziplinen in einer gemeinsamen Planung führt dazu, dass Gebäude nachhaltig, flexibel und intelligent sind. Doch was steckt im Detail hinter smarten Lösungen? Welcher greifbare Nutzen lässt sich durch die Digitalisierung erzielen, damit der Ansatz nicht zu einer abstrakten Worthülse verkommt. Matthias Unruhe verweist in G60 auf die Anbindung sämtlicher Sanitärarmaturen an die Gebäudeleittechnik. Ein solches Beispiel mag auf den ersten Blick speziell erscheinen, zeigt aber bei einer genaueren Betrachtung, was Sensorik und Steuerungsfähigkeit in der Gebäudewirtschaft leisten können. Zunächst liefern die Armaturen nur Daten über Wasserverbräuche und Spülzeiten. Die Informationen sollen keine Rückschlüsse darüber geben, wie häufig die Mitarbeitenden die Sanitärräume benutzen.
Aus den Daten lässt sich allerdings ableiten, welche Sanitärräume in welcher Frequenz aufgesucht werden. „Dieses Wissen erweist sich für uns als wertvoll, unter anderem im Hinblick auf die Hygiene im Versorgungsnetz“, erläutert Matthias Unruhe. „Das Facility Management sieht, wo ausreichend Wasser gezapft wird, und wo sich Probleme aufgrund von stehenden Wassersträngen ergeben können.“ Darüber hinaus lässt sich das Reinigungspersonal besser einteilen, denn warum zweimal täglich säubern, wenn die Toiletten lediglich selten in Betrieb sind. In eine ähnliche Richtung gehen die Ziele auch bei den geplanten Besprechungsräumen. Nach Auskunft von Matthias Unruhe lässt sich durch die Auswertung der entsprechenden Sensordaten genau ermitteln, ob gebuchte Räume später tatsächlich verwendet worden sind und welcher der Räume besonders gerne von den Mitarbeitenden frequentiert wird. Dabei kann bereits die Nähe zu einer Kaffeeküche oder zum Empfangsbereich für die Besuchenden ausschlaggebend sein. Sind geeignete Daten durch die Digitalisierung des Gebäudes vorhanden, hat das Facility Management die Möglichkeit, daraus Informationen zum Nutzungsverhalten zu ziehen und unter Umständen steuernd einzugreifen.
Integrale Planung für ein flexibles Gebäude
Nach dem Bezug von G60 könnten bei einer ersten Umstrukturierung wenig gebuchte Räume einer Umnutzung unterzogen werden. Auf diese Weise sind die Gebäudebetreiber in der Lage, den verfügbaren Raum effizienter und nutzerorientierter einzusetzen. Denn außer Digitalisierung sollten bei Nutzungsänderungen keine gravierenden Komplettumbauten notwendig werden. Die Weichen dafür sind bereits gestellt .
Das weitere Ziel nach der Einweihung im Sommer 2023 wird sein, G60 über die äußere Hülle hinaus, innerhalb der gesamten Liegenschaft in Blomberg zu vernetzen. So lassen sich beispielsweise Energieflüsse übergreifend
harmonisieren und bilanzieren.
Von Thorsten Sienk.
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