10.05.2022 – Kategorie: Architektur & Bau
Historische Gebäude restaurieren: Jugendstil trifft Moderne
Das 1905 vom Architekten Fritz Beblo errichtete Stadtbad in Straßburg ist zugleich eines seiner Wahrzeichen. Bis zur Wiedereröffnung im November 2021 wurde es zwei Jahre restauriert und saniert. Eine besondere Herausforderung für das Planerkonsortium rund um Chatillon Architectes, das mit ihren Entwürfen den Balanceakt zwischen historischem Gebäude und modernstem Schwimmbad schaffte.
Das Stadtbad in Straßburg wurde 1908 eröffnet und beherbergte schon damals Hallenbäder, öffentliche Duschen, Dampfbad und Solarium sowie einen eigenen Hundesalon. Das schon für die damalige Zeit revolutionäre und heute historische Gebäude verbindet technische Raffinesse von Eisenbeton und architektonischem Eklektizismus mit zugleich antiker und neoregionaler Inspiration. Seit 2017 steht es als „Monument historique“ unter Denkmalschutz – mitten im Herzen des Unesco-Weltkulturerbes Straßburg.
Historische Gebäude: Verschiedene Ziele miteinander vereinbaren
Die Stadt selbst beauftragte ihre Kommunalverwaltung mit der Leitung dieses anspruchsvollen Renovierungsprojekts. Dazu wählte man ein Konsortium rund um das Bauunternehmen Eiffage Construction Alsace, das seinerseits mit dem Architekturbüro Chatillon Architectes zusammenarbeitet und die Restaurierung und Sanierung der überdachten Bereiche sowie der ikonischen Innenräume durchführte. Die Agentur TNA war mit dem Bau der neuen Wasser- und Sportanlagen betraut und die Verwaltung übernahm Equalia.
Das Projekt umfasste die Restaurierung, den Ausbau und die Anpassung des Gebäudes an eine neue, zeitgemäße Nutzung – unter Wahrung aller typischen Merkmale dieses bedeutenden Denkmals. So waren verschiedene Ziele miteinander in Einklang zu bringen: die Aufwertung des bestehenden Gebäudes, die Wiederherstellung von mit der Zeit verschwundener oder abgeänderter Elemente und Dekorationen, die Gewährleistung von Sicherheit und Zugänglichkeit des Gebäudes, die Erneuerung der technischen Anlagen sowie die Gestaltung neuer Strukturen für die künftigen Nutzer.
All diese Maßnahmen sollten dazu beitragen, das Straßburger Stadtbad neu in der Gegenwart zu verankern, ohne dass Ursprünglichkeit verloren geht. „Dieses Gebäude bewegt. Bei jedem Besuch verspürt man eine klare poetische Beziehung zu Raum und Licht, was sehr viel Charme hat. Der Baustil ist sowohl antik als auch neoregional inspiriert: ein sensibles Gleichgewicht, das unbedingt zu bewahren ist“, sagt François Chatillon, Gründer des Architekturbüros.
„Auf Gartenebene und in den Stockwerken der Gebäudeflügel wollten wir neue Funktionen verwirklichen und dabei die Spuren der Vergangenheit neu zur Geltung bringen. Dazu gehört die Markierung des ursprünglichen baulichen Rahmens, der entfernt wurde, um die Erweiterung oder Verbindung bestimmter Räume zu ermöglichen“, ergänzt Antonin Gilles, Projektverantwortlicher bei Chatillon Architectes.
Alles unter einem Dach
Das im 20. Jahrhundert in Betrieb genommene und von den Straßburgern stark frequentierte Jugendstilbad war renovierungsbedürftig. Nun sollte es ein zweites Leben erhalten, für mehr Genuss und Wohlfühlatmosphäre. Zu den Zielen dieses Großprojekts gehörten die Adaption an zeitgenössische Standards und Nutzungsgewohnheiten, ein besserer Zugang für verschiedene Zielgruppen (Familien, Schüler, Senioren, Menschen mit Handicap usw.), effizienteres Nutzen natürlicher Ressourcen und auch ein ganz neues Angebot an Wellness-Leistungen.
Das gesamte Renovierungsprogramm für historische Gebäude sollte dem bereits existierenden Bauwerk entsprechen – nicht umgekehrt. Der letztlich umgesetzte Entwurf sah eine äußerst sorgfältige Umsetzung unter Beibehaltung eines traditionellen Schwimmangebots in den beiden bestehenden Becken vor. Darüber hinaus wurden auch wesentliche Optimierungen vorgenommen, darunter die Verbindung der beiden Schwimmhallen. Zudem dienen eine sorgfältig durchdachte Beleuchtung sowie eine neue, vertikale Zirkulation dazu, den Besucherstrom sicherer und fließender zu gestalten. Neue Räumlichkeiten im Innen- und Außenbereich bereichern das erweiterte Angebot zusätzlich.
Während die meisten Räume das historische Erbe von 1908 wieder aufleben lassen und gleichzeitig restauriert, modernisiert und für eine zeitgemäße Nutzung ausgelegt wurden, erschufen TNA Architectes in ausgewählten Bereichen auch ganz neue Einrichtungen. Mithilfe stratigrafischer Untersuchungen konnte man die ursprünglichen Farben des Stadtbads ermitteln, so dass die Besucher nun eine völlig neue Farbpalette und eine ganz andere Lichtstimmung vorfinden. Auch das römisch-irische Dampfbad ist erneuert in seinen ursprünglichen Marmor gehüllt, die Farben der individuellen Dusch- und Badekabinen rund um die Schwimmbecken wurden restauriert, die Rotunde erstrahlt in ihrem alten Glanz und mehrere Originalarmaturen wurden rückgebaut.
Den Mitarbeitern des Planungsbüros Quadriplus ist es zudem gelungen, alle entscheidenden technischen Ziele umzusetzen, ohne dabei die Architektur des Gebäudes zu denaturieren. So kommen die Ornamente, Dekorelemente und Fassaden durch raffinierte Beleuchtung wieder optimal zur Geltung. Auch die beiden Schwimmbecken sind jetzt zeitgenössisch ausgeleuchtet: Über den Kabinen wurden LED-Bänder installiert, die Volumen und Perspektive unterstreichen. Anstelle der alten Deckenleuchten erstrahlen nun moderne Pendelleuchten in Kugelform. Um die Räumlichkeiten gleichmäßig zu erhellen und damit die Kontraste des rauen Betons zu betonen, wurden die ehemaligen Lüftungsschächte an den Decken der Schwimmhallen stark beleuchtet.
Wo immer es möglich war, verschwand die Technik im Dachraum, etwa bei den neuen Gebläsesystemen, die die Temperatur der Schwimmbecken regulieren. Die Pfeiler in den Schwimmhallen sind nun verstärkt, um Platz für die Stromleitungen zu gewinnen, die zur Versorgung der Notstromaggregate und Lautsprecher dienen. Der untere Teil der Fenster, der vormals großes und kleines Becken voneinander trennte wurde entfernt, um die beiden Becken miteinander zu verbinden. Diese Neuerung symbolisiert ein Marmorstein auf dem Boden, der visuell einen bewussten Gegensatz zu den umliegenden historischen Böden darstellen soll.
Der Anschluss an das Fernwärmenetz und die Beseitigung der alten Anlagen bieten viel Raum für neue Möglichkeiten: Die hohen Decken des alten Heizungsraums erlaubten es zum Beispiel, ihn in zwei Ebenen zu unterteilen und dort einen Sportbereich einzurichten sowie ein Kochatelier im unteren Bereich.
Gesundheits- und Hygienesymbol
Auch das römisch-irische Dampfbad wurde komplett restauriert. In Teilen der ehemaligen Technikräume richtete das Architekturbüro TNA Architectes Whirlpool, Salzgrotte und Sauna ein. Dieses erweiterte Angebot setzt sich auch außerhalb der Mauern fort: Auf dem Gelände des ehemaligen Parkplatzes finden sich inmitten einer begrünten Fläche ein Entspannungsbecken aus Edelstahl und eine Sauna.
Außer den Bestimmungen des Denkmalschutzes für historische Gebäude, bestand die große Herausforderung auch darin, dem Straßburger Stadtbad eine moderne Hülle zu verleihen, es besser zu isolieren und damit umweltfreundlicher und energieeffizienter zu gestalten. Die Wasseraufbereitungs-, -erneuerungs- und -heizungsanlage wurde dazu umfassend renoviert und soll den Gesamtwasserverbrauch künftig um 80 Prozent senken. Der Energieverbrauch reduziert sich mithilfe einer zeitgemäßen Wärmedämmung, die die Wassertemperatur konstant um 41 Grad hält. Um den Energieverlust zu verringern, erhielten die Buntglasfenster zusätzlich eine harmonische Überverglasung.
Die Umgestaltung des alten Parkplatzes optimiert den Benutzerkomfort und lässt ein Stückchen Natur zurück in die Stadt Einzug halten. Zu diesem Zweck hat man die ehemals mineralische Fläche in eine Grünfläche mit Bäumen und Rasen verwandelt.
Sicherheit und Barrierefreiheit für historische Gebäude
Die umfassende Renovierung des Straßburger Stadtbads bot die Möglichkeit, eine nicht mehr zeitgemäße Einrichtung an die modernen Standards für Sicherheit und Barrierefreiheit anzupassen. Sowohl das kleine als auch das große Schwimmbecken sind nun für alle Besucher gleichermaßen zugänglich. Auf Ebene des Gartens, im ehemaligen ungenutzten Wassergraben, entstand ein neuer Eingang für Schulkinder und Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Durch den Einbau neuer Aufzüge, Rampen und Fahrstühle ist das Stadtbad so komplett barrierefrei. Der Besuchspfad im Inneren wurde komplett umgestaltet, um auch Menschen mit Behinderung fortan optimal ausgestattete Einrichtungen bereitzustellen. Die neuen Schulumkleideräume, die als Ellipse in der Ellipse angelegt sind, wurden auf Gartenebene unter der Rotunde eingerichtet.
Um das Stadtbad anzupassen, zu optimieren und auf den neuesten Stand zu bringen, schuf man fünf neue Treppenhäuser, deren Entwurf sich in die Geometrie des bestehenden Gebäudes einfügt. Einige der Kabinen entlang des großen Beckens sind umgestaltet, um mehr Platz am Beckenrand zu bieten. Die Straßburger haben jetzt ihr altes Stadtbad zurück im zeitgenössischen Rahmen und mit allen modernen Standards in Sachen Sicherheit, Umweltschutz und Komfort.
Von Pernille le Marc.
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